Zwei Forscher

Bei der Suche nach Belegen kommt hin und wieder der Zufall zu Hilfe und man kann aus Hunderten von Angeboten seinen „besonderen Beleg“ finden – der muss nicht einmal teuer sein. So erging es mir auch bei dem nebenstehenden unscheinbaren Kuvert.

Zwei Forscher schreiben sich im Jahre 1942, der Absender von der I. Medizinischen Klinik in Wien an den Empfänger am Institut für Pharmazie und chemischer Technik an der Universität Münster.

Die Frankatur Hitler und Hindenburg, die sich gegenseitig ansehen (wobei Hindenburg für Hitler nur Verachtung übrig hatte [Hindenburg: der böhmische Gefreite…]) – man hätte die beiden auch wechselseitig verkleben können [vgl. political correctness]…

Der Absender, Prof. Dr. Hans Eppinger [Junior], Jahrgang 1879, studiert in Graz und Strassburg. 1903 promoviert er in der steirischen Landeshauptstadt und wird Assistent an der dortigen Medizinischen Klinik. 1909 habilitiert er sich in Wien im Fach Innere Medizin, wird 1918 ao. Professor. 1926 erhält er den Ruf nach Freiburg im Breisgau bzw. nach Köln. Ab 1933 wird er Direktor der Klinik für Innere Krankheiten am Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Wir stellen fest: eine Bilderbuchkarriere! Eppinger gehört zu den Illegalen, also zu jenen Österreichern, die den Anschluss an Deutschland wollen. Ab 1937 wird er als „Mitglied der NSDAP in führender Stellung“ gehandelt [die NSDAP ist damals in Österreich verboten und seine Mitgliedschaft illegal]. Vor dem Anschluss im März 1938 dient das Heim Eppingers als Nazi-Zelle, seine ihm untergebenen Ärzte sind fast alle SA- oder SS-Offiziere. Ab 1943 ist Eppinger Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen unter Karl Brandt. Eppinger ist nun federführend in der Forschungsabteilung des Oberkommandos des Heeres tätig und ab 1944 massgeblich an den qualvollen und lebensgefährlichen Meerwasser-Experimenten an Sinti und Roma beteiligt. Nach dem Krieg sollte Eppinger im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt werden; er scheidet jedoch vor Prozessbeginn 1946 durch Suizid aus dem Leben.

Nun wollen wir uns dem Empfänger des Briefes zuwenden: Der Empfänger ist Prof. Dr. Hans Paul Kaufmann, geboren 1889 in Frankfurt am Main. Er studiert Chemie in Jena, Heidelberg und Berlin. Er ist Mitglied der pflichtschlagenden Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller zu Jena, wo er 1912 an der Universität promoviert wird. Sein Doktorvater ist der pharmazeutische Chemiker Ludwig Knorr. Kaufmann habilitiert sich 1916 während eines Fronturlaubes – 1919 wird er ao. Professor und Direktor an der analytischen Abteilung des Chemischen Instituts an der Universität Jena. 1921 stirbt Knorr. Kaufmann muss nun an das pharmazeutische Institut der Universität Jena wechseln, Pharmazie studieren, um die Lehrtätigkeit von Knorr fortzusetzen. Nach 1925 veröffentlicht Kaufmann über 500 „Studien auf dem Fettgebiet“.

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1931 wird er ordentlicher Professor an der Universität Münster. Nun ist er nicht nur ein bekannter und beachteter Forscher, sondern auch ein Meister in der Organisation. 1936 gründet er die Deutsche Gesellschaft für Fettforschung (DGF). Es gelingt ihm die DGF vor der Gleichschaltungspolitik der deutschen Regierung zu bewahren. 1943 kommt er als Professor für pharmazeutische Chemie nach Berlin, kehrt aber nach dem Krieg 1946 nach Münster zurück. Die DGF wird – wie alle Wissenschaftsorganisationen – von den Alliierten nach dem Weltkrieg aufgelöst. 1948 gründet er die DGF neu. Nach seiner Emeritierung 1958 bleibt er noch Direktor des Instituts für Pharmazie und Lebensmittelchemie. Nach dem Krieg gründet Kaufmann zudem das Deutsche Institut für Fettforschung, 1953 wird es an die Bundesanstalt für Milchforschung angeschlossen. Viele andere seiner Gründungen gehen letztlich im Max Rubner-Institut (MRI), Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, auf. Letztlich bleibt er Universitätsprofessor: 150 Doktoranden, 1600 Examina betreut Kaufmann; er publiziert ein chemisches Lehrbuch für Mediziner und ein zweibändiges Werk über Analyse der Fette und Fettprodukte. Seine 1936 begonnene Fettchemische Rundschau gibt es noch heute als European Journal of Lipid Science and Technology.

Weiterführende Literatur: Wikipedia