„Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind, aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind.“ Dieses Zitat von Albert Schweitzer (Monaco 1955) erinnert uns daran, wie selbstverständlich wir oft die alltäglichen Dinge – und auch unsere Gesundheit – hinnehmen. Die Salutogenese, ein Konzept des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, setzt genau an diesem Punkt an. Anders als die klassische Medizin fragt sie nicht nur, was uns krank macht, sondern vor allem, was uns gesund hält. Gesundheit wird dabei nicht als statischer Zustand verstanden, sondern als ein dynamischer Prozess, bei dem sich jeder Mensch zwischen den Polen von Gesundheit und Krankheit (Pakistan 1977; Armenien 206) bewegt.

Antonovsky entwickelte seine Theorie in den 1970er-Jahren, als er beobachtete, dass manche Menschen trotz widriger Umstände und erheblichem Stress gesund blieben. Sein Konzept stellte eine Gegenbewegung zur Pathogenese dar, die sich auf die Entstehung und Behandlung von Krankheiten konzentriert. Stattdessen fragte Antonovsky: Wie entsteht Gesundheit, und was können Menschen tun, um ihre Widerstandskraft zu stärken?

Zentral für die Salutogenese ist das sogenannte Kohärenzgefühl (Sense of Coherence). Dieses beschreibt eine innere Haltung, die Menschen befähigt, Herausforderungen zu bewältigen. Es basiert auf drei Eckpunkten eines Dreiecks: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl sind überzeugt, dass sie das Leben und seine Herausforderungen einordnen und verstehen können, dass sie über die Mittel verfügen, mit diesen Herausforderungen umzugehen, und dass es sich lohnt, Anstrengungen zu unternehmen, weil das Leben für sie Sinn ergibt. Dieses Gefühl stärkt nicht nur die psychische Widerstandskraft, sondern wirkt sich auch positiv auf die körperliche Gesundheit aus.

Die Salutogenese integriert darüber hinaus biologische Perspektiven, um die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit zu erklären. So zum Beispiel das Immunsystem (Australien 1975), das uns vor Infektionen schützt und die Regeneration fördert. Faktoren wie Bewegung, Ernährung und Schlaf stärken seine Funktion. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit des Körpers, ein inneres Gleichgewicht (Homöostase; Frankreich 2017) aufrechtzuerhalten, während er sich durch flexible Anpassungsmechanismen (Allostase) wechselnden Bedingungen anpasst. Auch das Mikrobiom, die Gesamtheit der Mikroorganismen (Niederlande 2011) in unserem Körper, trägt wesentlich zur Gesundheit bei, indem es chronische Entzündungen hemmt und das Immunsystem unterstützt. Schließlich zeigen genetische (Spanien 2009) und epigenetische Prozesse, dass Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Stressbewältigung die Aktivierung oder Hemmung bestimmter Gene beeinflussen können.

Die Salutogenese hat aber auch ihre Grenzen, insbesondere bei Erkrankungen wie Krebs. Krebs (Deutschland 2001) entsteht oft durch genetische Mutationen, die entweder zufällig auftreten oder durch Umweltfaktoren wie UV-Strahlung (Montserrat 2015) oder Rauchen (Deutschland 1077) begünstigt werden. Mit zunehmendem Alter nimmt zudem die Fähigkeit des Körpers ab, DNA (Taiwan 2005)-Schäden zu reparieren, was das Risiko für Krebs erhöht. Auch zufällige Fehler in der Zellteilung können eine Rolle spielen, die selbst durch einen gesunden Lebensstil nicht verhindert werden können. Hier zeigt sich, dass die Salutogenese keine Garantie für Gesundheit bietet. Dennoch kann sie im Umgang mit Krankheiten wie Krebs eine wertvolle Rolle spielen, indem sie hilft, Ressourcen zu mobilisieren und die Lebensqualität zu verbessern. Maßnahmen wie gesunde Ernährung (Neuseeland 2002), Bewegung (Jersey 2010) und Stressmanagement können das Immunsystem unterstützen und die Resilienz stärken. Zudem ermutigt der salutogene Ansatz Menschen, trotz schwerer Krankheiten Sinn im Leben zu finden und aktiv mit den Herausforderungen umzugehen.

Die westliche Medizin, die traditionell stark auf die Bekämpfung von Krankheiten fokussiert ist, steht im Gegensatz zur Idee der Salutogenese, die nicht nur auf die Entstehung von Krankheit (Pathogenese) schaut, sondern die Förderung von Gesundheit ins Zentrum rückt. In der westlichen Medizin wird Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO; Monaco 1966) als „Abwesenheit von Krankheit“ definiert, was Gesundheit zu einem negativen Zustand macht, der nur als Abwesenheit von Krankheit verstanden wird. Dieser Fokus auf die Vermeidung oder Bekämpfung von Krankheit zeigt eine stark reaktive Haltung, die erst dann eingreift, wenn Symptome oder Diagnosen vorliegen. Demgegenüber rücken in der Salutogenese präventive Maßnahmen und die Förderung von Ressourcen in den Vordergrund. Hier finden sich Parallelen zur fernöstlichen Medizin, etwa in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM; Macau 2020)) oder im Ayurveda. Diese Systeme betrachten Gesundheit als harmonisches Zusammenspiel von Körper, Geist, Seele (UNO 2023) und Umwelt und legen großen Wert auf Prävention. Die fernöstliche Sichtweise, die Gesundheit als einen Zustand der Balance und des Flusses versteht, wird durch Konzepte wie Yin und Yang (Süd-Korea 1949) oder die Doshas vertreten. Sie betonen, dass Gesundheit nicht einfach als Abwesenheit von Krankheit zu sehen ist, sondern als ein dynamisches Gleichgewicht, das durch kontinuierliche Pflege erhalten werden muss. Maßnahmen wie Akupunktur (Macau 2020), Kräutertherapie (Buthan 2002) oder Meditation (Sri Lanka 2015) sollen die Balance stabilisieren und Krankheiten vorbeugen, bevor sie entstehen.

Zusammenfassend verbindet die Salutogenese wissenschaftliche Erkenntnisse mit einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit. Sie zeigt, dass Gesundheit kein statischer Zustand ist, sondern ein dynamisches Gleichgewicht, das aktiv gefördert werden kann. Albert Schweitzers Worte erinnern uns daran, die scheinbar selbstverständlichen Dinge unseres Lebens – wie Gesundheit – bewusst zu schätzen und dann auch zu fördern. Die Salutogenese lädt uns ein, Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Krankheit zu verstehen, sondern als einen aktiven Prozess, bei dem wir selbst eine entscheidende Rolle spielen.